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Mutter und Kind: ein bleibendes, aber letztlich geheimnisvolles Bild der menschlichen Natur.
Erasmus,
Reflexionen über biologische Intelligenzen
Der kleine Manion wurde zu einem Lichtblick in Serenas Gefangenenleben, wie eine Kerze in tiefster Dunkelheit.
»Ihr Kind ist ein außerordentlich zeitaufwändiges Geschöpf«, sagte Erasmus. »Ich verstehe nicht, warum es so viel Aufmerksamkeit erfordert.«
Serena hatte in Manions große, neugierige Augen geschaut, und nun wandte sie sich dem glatten Spiegelgesicht des Roboters zu. »Morgen wird er drei Monate alt. In diesem Alter kann er noch nichts allein machen. Er muss wachsen und lernen. Menschliche Babies müssen ständig umsorgt werden.«
»Maschinen sind vom Tag ihrer Programmierung an voll funktionsfähig.«
»Das erklärt vieles«, sagte sie. »Für uns ist das Leben ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess. Ohne Fürsorge können wir nicht überleben. Das haben Sie nie erlebt. Sie sollten sich darum kümmern, dass die Kinder in den Sklavenbaracken besser aufgezogen werden. Seien Sie freundlicher zu ihnen, unterstützen Sie ihre Neugier.«
»Ist das wieder einer von Ihren Verbesserungsvorschlägen? Wie viele gravierende Änderungen soll ich Ihrer Meinung zufolge noch vornehmen?«
»Alle, die mir einfallen. Sie müssen die Veränderung an den Menschen bemerkt haben. Sie wirken jetzt viel lebendiger, nachdem sie nur ein klein wenig Mitgefühl erfahren haben.«
»Ihr Mitgefühl, nicht meins. Und das ist den Sklaven bewusst.« Der Roboter ließ sein Gesicht zum inzwischen vertrauten Ausdruck der Verblüffung zerfließen. »Ihr Geist stellt eine einzige Ansammlung von Widersprüchen dar. Es erstaunt mich, dass sie jeden neuen Tag überleben und keinen geistigen Zusammenbruch erleiden. Vor allem mit diesem Kind.«
»Der menschliche Geist ist widerstandsfähiger, als Sie sich vorstellen können, Erasmus.« Serena hielt das Baby an ihre Brust. Jedes Mal, wenn sich der Roboter beklagte, wie viel Arbeit Manion erforderte, ängstigte sie sich, er könnte ihr das Baby wegnehmen. Sie hatte die überfüllten, unmenschlichen Quartiere mit den heulenden Kindern aus den niederen Kasten gesehen. Obwohl es ihr gelungen war, die Lebensbedingungen der Sklaven zu verbessern, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, dass auch ihr eigenes Baby so aufwachsen musste.
Nun stand Erasmus neben der geschmacklosen Statue eines Schwertfisches und sah zu, wie Serena an einem sonnigen Nachmittag mit Manion spielte. Die beiden plantschten in einem der seichten blauen Pools des Anwesens. Dieser lag auf einer hohen Terrasse und erlaubte einen atemberaubenden Ausblick auf die Brandung des Ozeans. Serena hörte das Rauschen und die Rufe von Gänsen, die über den Himmel zogen.
Der nackte Manion juchzte in den Armen seiner Mutter, während er unbeholfen mit den Händen aufs Wasser klatschte. Der Roboter hatte vorgeschlagen, dass Serena ebenfalls nackt badete, aber sie hatte darauf bestanden, einen einfachen weißen Badeanzug zu tragen.
Wie immer starrte Erasmus sie und das Baby an. Sie versuchte, die Neugier des Roboters zu ignorieren, solange sie nur eine friedliche Stunde mit Manion genießen konnte. Sie sah bereits, wie viel Ähnlichkeit ihr Sohn mit Xavier hatte. Aber würde er jemals genauso frei wie sein Vater sein, die energische Persönlichkeit und Entschlossenheit zum Kampf gegen die Denkmaschinen entwickeln?
Nachdem sie sich zuvor fast ausschließlich mit großmaßstäblichen politischen und militärischen Angelegenheiten der Liga beschäftigt hatte, widmete Serena Butler nun ihre ganze Zeit der Sorge um ihr Kind. Ihre Probleme waren viel persönlicher und spezieller geworden. Mit erneuerter Kraft arbeitete sie schwer, um ihre Haushaltspflichten zu erfüllen, damit sie sich die Zeit mit Manion verdiente und Erasmus keinen Anlass gab, sie zu bestrafen.
Der Roboter war sich zweifellos bewusst, dass er nun mehr Gewalt über sie hatte als je zuvor. Er schien es zu genießen, sich verbale Duelle mit ihr zu liefern, aber sie brachte ihm auch widerstrebend ihre Dankbarkeit für die kleinen Freiheiten, die er ihr gewährte, zum Ausdruck. Obwohl sie nie aufgehört hatte, ihren Unterdrücker zu hassen, wusste Serena, dass er ihr Schicksal – und das Manions – in einem empfindlichen Gleichgewicht in den Händen hielt.
Als sie das vorstehende Kinn ihres Sohnes und seine entschlossen Mundwinkel betrachtete, dachte sie an Xavier und sein unerschütterliches Pflichtbewusstsein. Warum bin ich nicht einfach bei ihm geblieben? Warum musste ich Giedi Primus retten? Hätte ich mich nicht ein einziges Mal wie eine gewöhnliche Frau verhalten können?
Die Rufe der Gänse wurden lauter, als sie genau über die Villa hinwegflogen. Ihnen war es gleichgültig, ob die Erde von Menschen oder Maschinen beherrscht wurde. Hellgraue Exkremente spritzten auf die Terrasse und auf die Schwertfischstatue neben dem Roboter. Erasmus schien sich dadurch nicht irritieren zu lassen. Für ihn waren alle diese Dinge Bestandteil der natürlichen Ordnung.
Manion schaute den ziehenden Gänsen nach und lachte glucksend. Bereits mit drei Monaten war er an allem interessiert. Manchmal wollte er mit kleinen Fingern nach Serenas goldener Haarspange oder den funkelnden Edelsteinen greifen, die Erasmus so gerne an ihr sah. Der Roboter schien sie immer mehr als Frau im Haus zu betrachten, als Zierde seiner Villa.
Erasmus trat näher an den Pool und schaute auf das Baby, das glücklich im Wasser plantschte, während es von seiner Mutter gehalten wurde. »Ich habe nie verstanden, wie viel Unruhe und Chaos ein Säugling in einem geordneten Haushalt stiften kann. Ich finde es sehr ... beunruhigend.«
»Menschen brauchen Unruhe und Chaos«, sagte sie und bemühte sich, gelassen zu klingen, obwohl sie einen eiskalten Schauder verspürte. »So lernen wir am besten, innovativ und flexibel zu sein und zu überleben.« Sie stieg mit ihrem Sohn aus dem Pool und wickelte ihn in ein weiches weißes Handtuch. »Denken Sie an die Gelegenheiten, wenn Omnius' Pläne durch menschlichen Erfindungsreichtum vereitelt wurden.«
»Trotzdem haben die Denkmaschinen die Menschheit besiegt.«
»Haben Sie uns tatsächlich und in letzter Konsequenz besiegt, Erasmus?« Sie hob die Augenbrauen – eine ihrer Angewohnheiten, deren Rätselhaftigkeit ihn verzweifeln ließ. »Viele Planeten sind immer noch frei von Ihrer Herrschaft. Wenn Sie uns überlegen sind, warum machen Sie sich dann solche Mühe, uns nachzuahmen?«
Der neugierige Roboter verstand die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind nicht. Trotz ihres festen Tonfalls war ihm nicht entgangen, dass diese Frau, die zuvor so wild und unabhängig gewesen war, sich verändert hatte und sanftmütiger geworden war. Sie schien eine andere Persönlichkeit angenommen zu haben, seit sie Mutter geworden war. Dem Roboter hatte sie nie mit der intensiven Aufmerksamkeit gedient, die sie diesem schmutzigen, lärmenden und vor allem nutzlosen Säugling widmete.
Dieses Experiment hatte zwar interessante Daten über menschliche Beziehungen geliefert, aber Erasmus durfte nicht erlauben, dass sein Haushalt weiterhin unter diesem Störfaktor litt. Das Baby beeinträchtigte seinen effizienten Tagesablauf, und er wollte Serenas ungeteilte Aufmerksamkeit. Sie hatten gemeinsam wichtige Aufgaben zu erledigen. Durch die Sorge um das Kind verlor sie zu viel Energie.
Als Erasmus den kleinen Manion betrachtete, nahm sein Gesicht aus Flussmetall einen grimmigen Ausdruck an – den er schnell zu einem freundlichen Lächeln veränderte, bevor Serena in seine Richtung blicken konnte.
Bald würde diese Phase des Experiments enden. Er überlegte, wie er es am geschicktesten anstellte.